Titel: Das Parfüm des Todes | Autor*in: Katniss Hsiao
| Genre: Thriller | Verlag: Suhrkamp | Erscheinungsdatum: 14.10.2024
| Seitenzahl: 483 Seiten | Preis: 20,00 Euro Broschur

Yang Ning ist Tatortreinigerin und hatte früher den absoluten Geruchssinn. Nach dem Tod ihres Bruders ist sie allerdings mit dem partiellen Verlust dieser Gabe gestraft und kann sie nur noch an Orten des Todes und der Verwesung wieder zum Leben erwecken. Als sie zur Wohnung einer verschwundenen Person gerufen wird, wo sie aufräumen soll, merkt sie allerdings zu spät und nachdem die Räume von ihr schon gesäubert worden sind, dass sie in eine Falle gelockt wurde. Diese Wohnung ist ein Tatort, hier ist ein Mord geschehen. Prompt wird sie von der Polizei als Hauptverdächtige betrachtet.
Yang Ning begibt sich auf eine verzweifelte Suche, um sich zu entlasten. Sie folgt der schwer fassbaren Spur, die der Mörder hinterlassen hat – der Duft eines Parfüms namens
Madame Rochas‒ , und nimmt dabei die Hilfe des berühmt-berüchtigten Serienmörders und Künstlers Cheng Chunjin in Anspruch, um das Innenleben eines psychopathischen Geistes zu verstehen.
Um das Monster zu jagen, muss sie selbst zu einem Monster werden …

Unerwartet Komplex
„Achte auf die Stömung, die Tiefe. Nimm dir Zeit. Gib acht, dass du nicht strandest.“
Yang Ning hat ihr Leben alles andere als im Griff. Durch den Freitod ihres Bruders kämpft sie sich durch ein psychisches Trauma, welches ihr den Geruchssinn genommen hat und fühlt sich durch das Mitgefühl ihrer Umgebung eher erstickt als gerettet. Ihr einziger Lichtblick ist ihre Arbeit als Tatortsreinigerin. Denn nur zwischen Tod und Verwesung erwacht ihr Geruchssinn wieder zum Leben und lässt sie die Welt für eine kurze Weile wieder gänzlich wahrnehmen.
Als sie jedoch eines Tages einen Auftrag annimmt, die Wohnung einer Selbstmörderin zu reinigen, tappt sie in die Falle eines perfiden Täters. Nicht nur denkt die Polizei, sie hätte etwas mit dem Tod der jungen Frau zu tun, nein, auch nimmt ihre sensible Nase den Hauch eines besonderen Parfüms wahr. Sie hat es schon einmal gerochen. An einem anderen Tatort … und im Zimmer ihres toten Bruders …
Freundliche Serienmörder
Etwas, das man diesem Thriller wirklich nicht ansieht, ist seine Komplexität. Wir jagen nämlich nicht nur den Täter, nein! Wir kämpfen uns durch Yang Nings persönliche Hölle und erleben immer wieder in kurzen Kapiteln Rückblicke aus der Sicht des Täters, ohne dass wir wirklich bis zum Ende sagen können, wer uns nun diese Rückblicke erzählt. Und das ist eines dieser großartigen Kniffe des Buchs. Denn das, was wir lesen, kann nicht nur auf einen einzigen Menschen passen. Und so verlockt es uns immer wieder, einen Täter auszumachen, nur um am Ende immer wieder vor einem großartigen Twist zu stehen. Denn in Taiwan gibt es nicht nur einen Psychopathen, über den unsere Heldin stolpert.
Einen dieser Menschen lernen wir sogar wesentlich genauer kennen, denn Yang Ning sucht bei ihm Hilfe. Wer sonst, wenn nicht ein anderes Monster, könnte ihr erklären, wie solche Menschen tickten. Doch weder sie noch man als Leser rechnet damit, dass der Kerl so nett ist. Ein bisschen seltsam, überraschend verfressen, aber nicht wirklich bedrohlich. Bis einem das plötzlich deutlich wieder ins Gedächtnis gerufen wird. Denn die wirklichen Monster sind nicht die axtschwingenden Irren. Die wirklichen Monster sind schlau und haben gelernt zu lauern …
Gesellschaftskritik
Sie zieht sich fein durch die Geschichte und ist doch immer präsent. Die Kritik an der asiatischen Gesellschaft. An den Erfolgsdruck, dem schon Kinder und Jugendliche so extrem ausgesetzt sind, dass nicht viel fehlt, um sie in die Depression zu stürzen. Sie können sich keinem anvertrauen, weil sonst das Bild der starken Person wackelt, und tun sie es doch, bleibt das Gefühl, Familie und Umfeld enttäuscht zu haben. All das schwingt die ganze Zeit als Ton mit dem Buch mit und baut, ehe man sich versieht, den Grundpfeiler unserer Geschichte.

Dieses Buch wartete mit einer Vielzahl an Twists auf und lockt immer wieder auf eine falsche Fährte. Es ist schwer, sich von den Seiten zu lösen, und während man unserer alles anderen als perfekten Heldin folgt, lässt man ihren eigenen Schmerz sehr nah an sich heran. Und man beginnt ihr die Daumen zu rücken, endlich eine Antwort zu finden. Koste es, was es wolle …

