
Titel: Die zwölf Brüder | Autor*in: Gebrüder Grimm
Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben.

„Die zwölf Brüder“ gehört einmal mehr zu den eher unbekannten Märchen und ist definitiv eines, bei dem man sich schon nach wenigen Zeilen fragt, was der Verfasser hier eigentlich geraucht hat. Denn der friedliche Anfangssatz täuscht über eine ziemlich verstörende Geschichte hinweg, in der irgendwie niemand so recht normal sein will.


Alles beginnt mit wenigen Sätzen, in denen schon einmal genaustens der aktuelle Familienstatus offengelegt ist. Liebendes Ehepaar, 12 Kinder – alles Jungs – und die Königin ist mit einem weiteren Kind schwanger. Und um die ganze Familienidylle perfekt zu machen, offenbart der König seiner Frau, dass, wenn sie ein Mädchen bekommt, er alle zwölf Söhne umbringen wird, damit die junge Prinzessin gut leben und das Königreich regieren könnte.
Ein ganz normaler, liebender Vater … wenn man so ein paar Särge im Nebenraum außer Acht lässt und die Tatsache, dass er scheinbar das Grundprinzip des Teilens nicht ganz verstanden hat. Und wie psycho muss man sein, um das dann auch noch stolz seiner Frau zu verkünden? Zumindest die war angemessen bekümmert darüber.
Besagte Königin war also nervlich leicht am Ende und das bemerkte der jüngste Sohn und entlockte ihr das Geheimnis um den geplanten Tod seiner Brüder. Der Jüngste bekommt das alles mit und schafft seine Brüder erstmal in den Wald. Dort warten sie auf das Zeichen, ob es nun ein Junge oder ein Mädchen geworden ist. Und natürlich ist es ein Mädchen und für die Brüder damit klar: Nur wegen ihr haben sie ihr Königreich und ihr Zuhause verloren.
Was natürlich auch hier komplett logisch ist, denn es war ja das kleine Baby, das ihren Tod bestimmt hat, und nicht ihr Vater. Aber gut, Wahnsinn scheint ja in der Familie zu liegen.
Und weil unsere Jungs eben emotional komplett gefestigt sind, beschließen sie einstimmig, dass aus Rache wegen dieser Ungerechtigkeit nun jedes Mädchen sterben muss, welches ihren Weg kreuzt. Ja … Weil sie ja auch daran schuld sind, dass es hier tiefere familiäre Probleme aufzuarbeiten gibt … klar ….
Unsere massenmordende Junggesellengruppe verbringt also einige Jahre im Wald und die junge Prinzessin wächst derweil behütet auf. Natürlich ist sie wunderschön und freundlich und alles, und eines Tages war mal wieder großer Waschtag im Schloss, und da sah die Prinzessin 12 weiße Hemden, welche definitiv nicht ihrem Vater gehören konnten. Warum die Hemden der 12 Söhne plötzlich nach 10 Jahren mal wieder aus dem Schrank gekramt werden, ist natürlich eine andere Geschichte. Ihre Mutter erzählte ihr unter Tränen die rührende Geschichte und unsere junge Heldin beschloss sofort auszuziehen, um ihre verschollenen Brüder zu suchen.
Dass das inzwischen zehn Jahre her ist und eigentlich keiner mehr so genau wissen sollte, ob die noch leben, ist mal so dahingestellt. Der König hatte ja scheinbar auch keine große Lust, vielleicht mal herauszufinden, warum in dieser Zeit ständig irgendwelche Mädchen ermordet werden.
Aber gut, unsere Heldin schnappt sich also die Hemden und zieht aus, um ihre Brüder zu suchen, was auch recht unproblematisch passiert, und nach einem kurzen Trick des jüngsten Bruders, durch welchen beschlossen wird, das nächste Mädchen, das sie treffen, nicht zu ermorden, kommt besagte Schwester aus ihrem Versteck, und alle sind sofort begeistert von ihr und „herzen und küssen“ sie.
Finde nur ich diese Formulierung fragwürdig?
Und weil unsere Heldin sich so freut, übernimmt sie gleich mal den Haushalt, findet scheinbar ihre Bestimmung im Essenkochen und Putzen, anstatt mit den Brüdern im Schlepptau zurück zum Schloss zu gehen, besagten Vater zur Rede zu stellen und sich vielleicht auch mal bei ihrer Mutter zu melden. Da hätte sie auch einfach im Schloss bleiben können…
Und hier hätte das Märchen jetzt zu Ende sein können … Hätte … aber ist es nicht. Denn an einem besonders schönen Tag will die Schwester ihre Brüder mit Blumen überraschen, welche sie aus dem Garten pflückt, und damit ihre Brüder plötzlich in Raben verwandeln. Es taucht sogar eine alte Frau auf und macht sie erstmal dafür verantwortlich.
Hat ihr jemand vorher gesagt „Hey, pflück bitte diese Blumen nicht, denn tust du es, verwandeln wir uns – warum auch immer – in schnatternde Vögel“? Nein! Stattdessen wird sie noch dafür verantwortlich gemacht. Warum dieser Fluch überhaupt auf ihren Brüdern liegt? Keine Ahnung! Story eben!
Selbstverständlich will die Prinzessin ihre Brüder erlösen und darf dafür 7 Jahre weder lachen noch sprechen. Also klettert sie – wie es eben jeder tun würde – auf einen Baum, um dort sieben Jahre zu warten. Ich hoffe, sie hat da einen guten Kühlschrank … und TV … oder wenigstens ein paar Bücher …
Zu ihrem Glück muss sie aber gar nicht so lange warten, denn es taucht ein Königssohn auf, welcher sich sofort in sie verliebt und gleich mal mit einem Heiratsantrag hereinplatzt. Und weil es der Prinzessin vermutlich schon etwas langweilig wurde, stimmt sie nickend zu, heiratet und zieht ins Schloss des Prinzen. Damals war Partnerbörse eben noch einfach.
Dort spricht sie nun sieben Jahre nicht und die – natürlich – böse Stiefmutter des Prinzen versucht sie schlechtzumachen, und trotz all seiner Liebe glaubt er dieser natürlich und beschließt, wenn auch unter großem Kummer: Hey, dann verbrenne ich eben meine Frau. Ja, ne glatte 10 /10 als Ehemann.
Zu ihrem Glück wird mitten auf dem Scheiterhaufen der Fluch gebrochen, die Brüder erretten sie, die Eheleute sprechen sich aus und alles löst sich in einem Happy End auf. Und zusammen mit ihren irren Brüdern und ihrem auch nicht gerade klügeren Ehemann lebt sie dann glücklich und zufrieden in dem Schloss. Nur die böse Stiefmutter erfährt ihre Strafe und wird in ein Fass mit heißem Öl gesteckt. Denn wie jeder weiß, war nur sie die Unzurechnungsfähige in dieser Geschichte.
Ende
